Früher war alles besser – tatsächlich?
Momentan beherberge ich im Lauschmittel-Atelier ein Paar ältere Lautsprecher in der Hoffnung, diese an einen oder eine Liebhaberin verkaufen zu können. Ehrlich gesagt bin ich etwas erschrocken, als sie geliefert wurden: schwer, gross, viele Gebrauchsspuren. Aber ich habe sie in eine gerade frei gewordene Lücke neben meine Bestseller Tannoy Eaton stellen können. Nun stehen sie da, und ich war sehr gespannt auf den Klang.
Schliesslich handelt es sich beim erwähnten Lautsprecher um eine wahre Grösse aus den späten 70er Jahren: Acoustic Research AR90 Reference. Zu der Zeit galt dieses Schwergewicht (38 Kg pro Stück) als einer der besten Lautsprecher seiner Klasse – ein aufwändig konstruiertes 4-Wege-System mit zwei seitlich angeordneten Subwoofern, einem Tieftöner, einer Mittelton- und einer Hochtonkalotte. Die AR90 ist von der Bauart her eine etwas verkleinerte Ausgabe der legandären AR9 (zum Glück, die ist noch grösser und mit 58 Kg auch nochmal etwas schwerer).
Ein wenig Werbetext von AR aus den 1970er-Jahren: «(…) Sowohl bei der Entwicklung als auch während des gesamten Konstruktions- und Fertigungsprozesses kamen modernste Technologien im Lautsprecherdesign sowie hochentwickelte Computertechniken zum Einsatz. Die drei herausragendsten Anwendungen dieser Technologie im AR-90 sind die Acoustic Blanket, die vertikale Hochtöneranordnung und die Positionierung der beiden Tieftöner, die sich auf beiden Seiten des Gehäuses befinden.
Die beiden erstgenannten sorgen für eine beispiellose Abbildung und Präzision der Lokalisierung, während letztere einen in jeder Hörumgebung unübertroffenen linearen Frequenzgang gewährleisten, insbesondere bei den niedrigsten Musikfrequenzen.
Die Klarheit der AR-90 macht Ihnen die Grenzen der angeschlossenen Geräte, einschließlich der besten Elektronik, bewusst. Infolgedessen scheinen alle Verbesserungen in der Kette vor dem AR-90 die Gesamtleistung kontinuierlich zu verbessern.(…)»
Nun gut, soweit also die Theorie. Ich bin zuversichtlich, als ich die AR90 an den Vincent SV-237MkII anschliesse. Dieser Verstärker hat eine hohe Leistung, solle also mit den aufwändig konstruierten Lautsprechern gut zurecht kommen. Obschon ich vermute, dass deren Wirkungsgrad für heutige Verhältnisse alles andere als optimal ist. Aber lassen wir die AR90 doch mal klingen. Wie immer verwende ich meine Test-Playlist in High-Res von Qobuz. Was gerade als erstes auffällt: der Wirkungsgrad ist wie erwartet nicht sehr hoch, wozu ich die Lautstärke ziemlich weit aufziehen muss. Bei passender Lautstärke klingen die Oldtimer nun besser als erwartet. Das Klangbild ist angenehm ausgewogen, fast schon einwenig zurückhaltend. Die erwartete Basslastigkeit (je zwei Subwoofer seitlich angeordnet) ist nicht spürbar. Dafür kommen die Bässe schön knackig daher, trotz der sehr schwierigen Akustik im Atelier - der Raum ist ein «Bassauslöscher».
Weniger überzeugt bin ich von der räumlichen Abbildung der Musik. Die AR90 bildet in der Breite schön ab, in der Tiefe lässt sie aber zu wünschen übrig. Vielleicht liesse sich mit der Aufstellung noch etwas machen, die Box steht etwa 50 cm von der Wand entfernt. Hörbar ist auch das Alter der Hochtöner. Insgesamt wirken Stimmen und die Höhen etwas zugedeckt, das bei einigen Aufnahmen typische Funkeln in den Höhen kommt nicht rüber.
Aber hey, die guten Stücke haben viele Jahre auf dem Buckel! Wer Freude an Hifi-Oldtimern hat und es zwischendurch richtig krachen lassen möchte, ist mit der AR90 gut bedient – zumal sie günstig zu haben sind, richtig Vintage aussehen und einwenig den Spirit der 70er und frühen 80er aufleben lassen.
Abschliessend: früher war gewiss nicht alles besser, aber die AR90 ist gut gealtert und freut sich auf einen neuen Besitzer oder eine neue Besitzerin.
P.S. Ich habe die AR90 bewusst nicht mit einer neuen Tannoy verglichen, das wäre schlicht nicht fair. Und leider habe ich auch gerade keine Tannoy aus den 80ern zur Hand…